Kerbela ist eine Stadt im Irak. Für Aleviten jedoch ist Kerbela: Ursprung, Trauer, Widerstand gegen Ungerechtigkeit, Hoffnung, Gerechtigkeitsliebe…
Nach dem islamischen Kalender beginnt heute (15.11.2012) das neue Jahr. Der erste Monat heißt nach dieser Zeitrechnung „Muharrem“ und hat für die alevitische Gemeinde eine besondere Bedeutung. Denn mit diesem beginnt für Millionen von Menschen rund um den Globus und hunderte tausende in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine Trauer- und Fastenzeit.
Obwohl alljährlich Ihre alevitischen Nachbarn 12 Tage lang zur Besinnung und zum Gedenken an das Leid einer heiligen Familie Enthaltsamkeit üben und tiefe Trauer leben, wissen die meisten kaum etwas über ihren Glauben.
Anlässlich der diesjährigen Trauerzeit informiert daher die Alevitische Gemeinde Mannheim gemeinsam mit der Alevitischen Akademie über eine – unsichtbare – Glaubensgemeinschaft und ihre Trauer.
Im Jahre 680 nach Christus herrschte in der islamischen Welt ein Tyrann, der gleich anderer Artgenossen die Religion für seine Macht instrumentalisierte und zur Durchsetzung eines bedingungslosen Gehorsams Menschen vernichtete. Es ist daher nicht neu, dass Menschen „im Namen Gottes“ andere Menschen töten. Beachtlich ist jedoch, dass damals der Tyrann gerade die Prophetenfamilie tagelang in Kerbela – im heutigen Irak – festhielt und sie nicht weiter ziehen ließ. Die Familie wurde von Imam Hüseyin, dem Enkel des Propheten Mohammed geführt. Ihn begleiteten seine Schwestern, seine Frau, Kinder und weitere Verwandte. Sie wurden zunächst eingekesselt, so dass sie nicht fortziehen und insbesondere auch kein Wasser vom nahegelegenen Euphrat nehmen konnten. So mussten sie tagelang mit Kleinkindern dursten.
Sie wurden aufgefordert, den Tyrannen als rechtmäßigen Kalifen anzuerkennen oder zu sterben. Der Prophetenenkel antwortete mit den Worten seines Vaters Imam Ali: „Wer sich dem Unrecht beugt, verliert nicht nur sein Recht sondern auch seine Würde.“ Es folgte so dann ein großes Massaker, bei dem die Kinder und Verwandten des Imam Hüseyin nach und nach vor seinen Augen ermordet wurden. Es blieb lediglich ein kranker Sohn am Leben. Schließlich wurde auch der Prophetenenkel von den „muslimischen“ Soldaten ermordet. Das Leid von Kerbela verfestigte die Spaltung im Islam. Seither distanzieren sich die Aleviten von der Mehrheit und pflegen ihre eigenen Rituale.
Nachdem auch die weiteren Nachfahren des Propheten von den Kalifen ermordet bzw. hingerichtet wurden, bildete sich aus der einstigen Fastenzeit im Monat Muharrem zugleich eine Trauerzeit für die Aleviten. Sie fasten zu Ehren des Imam Hüseyin und der weiteren Imame (insgesamt 12) 12 Tage lang. Gleichzeitig trauern und gedenken sie an das Leid der Prophetenfamilie. An diesen Tagen bleiben Aleviten Feierlichkeiten fern, trinken nach dem Fastenbrechen kein klares Wasser, kein Alkohol, essen kein Fleisch, um jegliches Blutvergießen zu vermeiden, und versammeln sich beim Sonnenuntergang im Cemhaus (alevitisches Gebetshaus). Gemeinsam brechen sie am Abend mit einer schlichten Mahlzeit ihr Fasten und nehmen an der Andacht teil.
Der Trauer- und Fastenzeit folgt der Aschure-Tag, der 13. Muharrem. Dieser ist der höchste Feiertag der Aleviten. An diesem Tag wird eine Speise (Aschure) mit 12 Zutaten bereitet und zum Zeichen der Versöhnung an Nachbarn und Freunde verteilt. Mit einem Gottesdienst danken Aleviten an diesem Tag Gott für die Erhaltung der Prophetenfamilie, da ein einziger Sohn des Prophetenenkels Kerbela überlebte.
Für weitere Informationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Alevitische Akademie, Mannheimer Str. 105a, 68535 Ed.-Neckarhausen – info@aleviakademisi.org
Fotoquelle: Anonym